Dialogmittwoch
Wir freuen uns, Ihnen hier eine großartige und wertschätzende Form der Kommunikation vorzustellen: den
Dialog nach David Bohm.
David Bohm war ein US-amerikanischer Physiker und Philosoph. Über seinen Versuch einer allumfänglichen, besser gesagt ganzheitlichen Deutung der Quantenphysik erlangte er die unzufriedenstellende Erkenntnis, dass die Naturwissenschaft, konkret die Physik keine gültigen Antworten und Lösungen bei der Suche nach Wahrheit geben konnte und kann. Mit seinen Konzepten zur Sicht der Welt beschreibt er - angelehnt an die Erkenntnisse aus der Quantenphysik - eine Realität, in der "alles mit allem" im Verbindung steht und manövriert sich damit im Kreis der zeitgenössischen Physiker*innen-Kollegenschaft eher ins Abseits.
Beachtlich bleibt dennoch, dass es ihm gelang, mit "harten", physikalisch-naturwissenschaftlich etablierten Denk- und Erklärungsmustern "weiche", geisteswissenschaftliche Kommunikationsphänomene und -abläufe zu beschreiben und zu entwickeln. Die wissenschaftliche, auf Beobachtung und Messung fokussierte Nüchternheit zeigt sich in einer Haltung der Offenheit, des Respekts und der wertfreien Wahrnehmung, die den Kern der Dialogmethode beschreibt.
Fasziniert von dem Möglichkeiten, die diese entschleunigende, verdichtende und doch sanfte Methode des konzentrierten Miteinander mit sich bringt, haben wir uns als "Dialoggruppe" gefunden und praktizieren 4-5 mal jährlich im Rahmen des Dialog-Mittwoch für 2 Stunden lang die Dialogmethode nach David Bohm.
Der Dialog-Mittwoch gibt im Rahmen einer Übungsgruppe die Möglichkeit, die Dialogmethode kennenzulernen, damit zu experimentieren und die Prinzipien des Bohmschen Dialogs in das eigene Kommunikationsverhalten zu integrieren.
Im Gegensatz zur Diskussion (in seiner Wortbedeutung untersuchen, erörtern, besprechend erwägen), in der sehr viel an (Be-)Wertung steckt, bietet der Dialog (gleichbedeutend mit "Wortfluss"), miteinander in ein fließendes Gespräch zu kommen.
David Bohm hat zum Dialog-Prozess die folgenden, wesentlichen Eckpunkte formuliert:
1 - ZUHÖREN
Ich muss zuerst mir selbst zuhören, bevor ich anderen zuhören kann: welche inneren Bewegungen, Gedanken und Bewertungen entstehen in mir, wenn ich zuhöre? Wenn ein anderer erst 2 Sätze gesagt hat, fangen wir an, innerlich zu argumentieren, eine Entgegnung vorzubereiten, zuzustimmen oder abzulehnen, zu bewerten.
Wenn ich diese Bewegungen wahrnehmen kann, wird es möglich, diese automatischen inneren Reaktionen etwas beiseite zustellen, um das, was ich höre, wirklich bei mir ankommen zu lassen.
2 - PARTIZIPIEREN
Wenn ich wirklich zuhöre, kann ich teilhaben an etwas Größerem, ich kann teilhaben am Wesen meiner Gesprächspartnerin, meines Gesprächspartners, und wir können in einen gemeinsamen, erfrischenden Fluss von Austausch eintreten, der im Moment entsteht und nicht aus der Erinnerung erzeugt ist.
3 - RESPEKTIEREN
(lateinisch re-spectere: erneut hinschauen, beobachten) bedeutet, auf Abwehr, Schuldzuweisung, Abwertung und Kritik zu verzichten. Alle dürfen so sein, wie sie sind. Jede Idee, jede Meinung ist genauso richtig und legitim wie meine eigenen Ideen.
4 - IN SCHWEBE HALTEN (SUSPENDIEREN)
Wenn wir unser 'Wissen' als Konstrukte erkennen, können wir im Suspendieren unsere Annahmen und Bewertungen sichtbar machen, sie veröffentlichen, sie vor uns 'aufhängen', sie so in der Schwebe halten und suspendieren: "das ist meine Meinung, meine Haltung zum Thema, und ich halte diese mal in der Schwebe und lasse mich weiter auf das ein, was da gesagt wird".
5 - ARTIKULIEREN
Eine Haltung von Neugierde, Achtsamkeit und Bescheidenheit ermöglicht, Fragen zu stellen, die uns wirklich bewegen und gemeinsam zu erkunden und etwas zu entwickeln, das vorher noch nicht da war und alleine nicht möglich gewesen wäre. Erst dann, wenn ich mein Denken gut beobachtet habe, kann es gelingen, diese Gedanken auch in Worte zu fassen.
6 - VERLANGSAMEN
Um uns in dieser Art selber beobachten zu können, ist es nötig, den Prozess zu verlangsamen. Dann können wir beobachten, welche Reflexe, Reaktionen, Wertungen, Gedanken und Erinnerungen auf eine Aussage einer anderen Person in uns ausgelöst werden. Im Dialog setzen wir dazu einen Sprechstab ein, um den Redefluss zu verlangsamen.
Die Regel ist, dass nur die Person spricht, die den Stab in den Händen hält.
Wir müssen also mit der großen Weisheit vom Ganzen, die in der Vergangenheit im Osten wie im Westen vorhanden war, so verfahren, daß wir sie in uns aufnehmen und dann zu einer neuen und ursprünglichen Wahrnehmung fortschreiten, die für unsere gegenwärtigen Bedingungen relevant ist.
DAVID BOHM
Carl Polonyi schreibt auf seiner Webseite zur Dialogmethode sehr treffend:
"Den Dialog nach David Bohm sehe ich als ein sehr hilfreiches Mittel, einen gemeinsamen Raum zu schaffen und miteinander in Fluss zu kommen. Er ist ohne Thema und Ziel. Jede Person sagt, was sie bewegt. Es kann sich inhaltlich auf ganz anderes beziehen als auf das, worauf sich die Person vor ihr bezogen hat.
Auf diese Weise erhalten wir Teilnehmenden einen Eindruck, von dem, was in jeder*m von uns lebendig ist. Meist wird nach einiger Zeit ein Schwergewicht spürbar, ein Bereich, der besonders anziehend wirkt. So finden wir das für uns wichtige Thema von selbst, ohne Diskussion, Abwägen oder gar Abstimmung. Als besonders schön empfinde ich daran, dass alle das ihnen Wichtige sagen können, auch wenn es nicht zum sich herausschälenden Thema gehört. Auch diese scheinbar abwegigen Äußerungen fließen nach meiner Erfahrung in den weiteren Dialog ein und bereichern ihn. Das wird auch dadurch gefördert, dass kein Grund besteht, sich selbst gegenüber Themen anderer abzugrenzen, um das eigene Thema durchzusetzen. Das Gruppenthema gewinnt auf diese Weise eine ungewöhnlich Weite und Vielfalt; das anfangs scheinbar gar nicht hierher Gehörende eröffnet mitunter ganz neue Perspektiven und verändert so das Gesamtbild grundlegend."
(http://www.carlpolonyi.de/node/706, abgerufen am 9. August 2017)